.
Kirchengericht:Kirchengericht für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:19.07.2006
Aktenzeichen:2 KG 37/2005
Rechtsgrundlage:MVG-EKD:
§ 42 lit. a)
§ 60 Abs. 1
§ 60 Abs. 5
Vorinstanzen:keine
Schlagworte:
#

Leitsatz:


Kein eingeschränktes Mitbestimmungsrecht der Mitarbeitervertretung bei der Einstellung einer Ein-Euro-Kraft gem. § 42 lit. a) MVG-EKD
Mit dem Einsatz eines Hilfebedürftigen nach § 16 Abs. 3 Satz 1 SGB II in einer bestimmten Gemeindeeinrichtung wird das Mitbestimmungsrecht der Mitarbeitervertretung nach § 42 lit. a) MVG-EKD nicht verletzt. Auch wenn der Hilfebedürftige nach § 16 Abs. 3 SGB II in den Betriebsablauf der Dienststelle eingegliedert ist und an ihrer Aufgabenerfüllung mitwirkt, reicht dies allein für eine Mitbestimmungspflichtigkeit des Vorgangs nach § 42 lit. a) MVG-EKD nicht aus.
„Ein-Euro-Kräfte“ nehmen lediglich Arbeitsgelegenheiten wahr, die eine Erledigung zusätzlicher Aufgaben der Dienststelle im Sinne des § 261 SGB III betreffen. Schon aus dieser Vorgabe ist der Schluss gerechtfertigt, dass mit der soziale Leistungszwecke verfolgenden Beschäftigung von Hilfebedürftigen in entsprechenden Arbeitsgelegenheiten gerade keine Bindung dieser Beschäftigten an die Dienststelle eintreten soll. Es handelt sich insoweit um eine rein sozialrechtliche Maßnahme, an deren Realisierung unter Beachtung der Schutzzweckgrenze mitarbeitervertretungsrechtlicher Beteiligung kein Mitbestimmungsrecht nach § 42 lit. a) MVG-EKD besteht.
Nach § 61 Abs. 1 MVG-EKD beträgt die Frist für die Anrufung des Kirchengerichts, sofern hierfür keine besondere Frist festgesetzt worden ist, zwei Monate nach Kenntnis der Maßnahme oder eines Rechtsverstoßes im Sinne von § 60 Abs. 1 MVG-EKD. Ein erst nach Fristablauf beim Kirchengericht eingehender Antrag ist wegen Verfristung unzulässig.
Die vorgenannte Zweimonatsfrist beginnt mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem die Mitarbeitervertretung Kenntnis davon erlangt, dass ein hilfebedürftiger Arbeitssuchender im Rahmen einer Arbeitsgelegenheit nach SGB II mit Mehraufwandsentschädigung eine Tätigkeit in ihrem örtlichen Zuständigkeitsbereich aufnehmen wird und ihr auch bekannt wird, dass die zuständige Dienststellenleitung entschlossen ist, dafür kein Zustimmungsverfahren nach §§ 38, 42 lit. a) MVG-EKD durchführen zu wollen.

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Gründe:


I.

Die Verfahrensbeteiligten streiten im Kern darüber, ob die Aufnahme der nach § 16 Absatz 3 Satz 1 SGB II hilfebedürftigen Frau M als Helferin in einer Kindertagesstätte, wo sie an vier Tagen in der Woche jeweils fünf Stunden als sog. „Ein-Euro-Kraft“ Kinderbücher vorliest, Tischspiele mit Kindern spielt und Hilfe zur Vorbereitung der Essensausgabe leistet, den mitbestimmungspflichtigen Tatbestand einer „Einstellung“ im Sinne von § 42 lit. a) MVG-EKD auslöst.
Die Antragstellerin hat nach eigenem und im Übrigen auch unstreitigem Vorbringen am 5. September 2005 davon erfahren, dass Frau M für die Zeit ab 1. Oktober 2005 in einer bestimmten Kindertagesstätte als Helferin im Rahmen einer „Arbeitsgelegenheit nach SGB II mit Mehraufwandsentschädigung“ eingesetzt wird.
Mit einem zusätzlich bei der Antragstellerin am 22. September 2005 eingegangenen „Antrag auf Zustimmung über die Wahrnehmung einer Arbeitsgelegenheit gem. § 16 SGB II“ suchte der Antragsgegner um die Zustimmung zu dieser, durch die Arbeitsagentur „Arbeit und Leben“ vermittelten und am 31. Juli 2006 endenden Tätigkeit nach. Die Antragstellerin erklärte am 29. September 2005, dass sie dieser Maßnahme nicht zustimme.
Mit Schreiben vom 25. Oktober 2005 teilte die Antragstellerin - offenbar nach erneuter Befassung mit dem Vorgang - dem Antragsgegner mit, dass sie der „Einstellung von Frau M nicht zustimme“. Die durchgeführte Maßnahme sei unwirksam, weil eine Einigung zwischen ihr und dem Antragsgegner hierüber noch nicht erfolgt sei. Der Antragsgegner verletze ihr Mitbestimmungsrecht, indem er ohne Zustimmung der Mitarbeitervertretung Frau M beschäftige. Eine solche Beschäftigung dürfe erst vollzogen bzw. aufgenommen werden, wenn sie, die Antragstellerin, hierzu auch ihre Zustimmung erteilt habe.
Der Antragsgegner erwiderte daraufhin mit Schreiben vom 31. Oktober 2005, dass die Aufnahme der Beschäftigung von Frau M die Wahrnehmung einer Arbeitsgelegenheit gem. § 16 SGB II sei, die einen mitbestimmungspflichtigen Tatbestand im Sinne von § 42 lit. a) MVG-EKD nicht darstelle.
Mit dem beim Kirchengericht am 18. November 2005 eingegangenen Antrag sucht die Antragstellerin zum einen um eine Feststellung darüber nach, dass der Antragsgegner gegen § 38 i.V.m. § 42 lit. a) MVG-EKD verstoßen hat. Zum anderen begehrt sie, dem Antragsgegner zu untersagen, Frau M bis zum ordnungsgemäßen Abschluss eines Zustimmungsverfahrens zur Einstellung zu beschäftigen.

II.

Das Begehren, mit dem die Antragstellerin zum einen festgestellt wissen will, dass der Antragsgegner mit der Aufnahme von Frau M als Helferin („Ein-Euro-Job“) ohne die erforderliche Zustimmung der Antragstellerin ihr Mitbestimmungsrecht nach § 42 lit. a) MVG-EKD verletzt hat und zum anderen darum nachsucht, dem Antragsgegner zu untersagen, Frau M vor Abschluss eines ordnungsgemäß durchgeführten Zustimmungsverfahrens weiterhin zu beschäftigen, hat keinen Erfolg.
1. Der Antrag dürfte bereits unzulässig sein, weil er nicht fristgerecht gem. § 61 Abs. 1 MVG-EKD beim Kirchengericht gestellt worden sein dürfte. Nach § 61 Abs. 1 MVG-EKD beträgt die Frist für die Anrufung des Kirchengerichts, sofern hierfür keine besondere Frist festgesetzt worden ist, zwei Monate nach Kenntnis der Maßnahme oder eines Rechtsverstoßes im Sinne von § 60 Abs. 1 MVG-EKD.
Die Antragstellerin hatte - unstreitig - schon am 5. September 2005 Kenntnis davon, dass Frau M im Rahmen einer Arbeitsgelegenheit nach SGB II mit Mehraufwandsentschädigung ab 1. Oktober 2005 ihre Tätigkeit aufnehmen wird und ihr war auch bekannt, dass der Antragsgegner entschlossen war, dafür kein Zustimmungsverfahren nach §§ 38, 42 lit. a) MVG-EKD durchführen zu wollen.
Die Frist für einen darauf bezogenen Verstoß (anders offenbar für einen Verstoß gegen § 19 Abs. 1 S. 2 MVG-EKD, vgl. dazu Kirchengerichtshof EKD, Beschl. v. 24.01.2005, Juris) dürfte hier somit ab dem 5. September 2005 zu laufen begonnen haben, so dass der erst am 18. November 2005 eingegangene Schlichtungsantrag danach verfristet wäre.
2. Ungeachtet der - mit den Verfahrensbeteiligten im Einigungsgespräch nicht erörterten - Frage einer etwaigen mangelnden Zulässigkeit des Antrags, hat das Begehren jedenfalls in der Sache keinen Erfolg.
Im Grundsatz steht der Antragstellerin allerdings, falls der streitauslösende Vorgang als mitbestimmungspflichtig anzusehen wäre, ein eigenständiger allgemeiner Unterlassungsanspruch zu (vgl. BAG AP BetrVG 1972 § 23 Nr. 23), wonach sie vom Antragsgegner verlangen kann, die Beschäftigung von Frau M zu unterlassen.
Hier sind indes mit der Aufnahme von Frau M als Helferin die Voraussetzungen eines mitbestimmungspflichtigen Tatbestandes im Sinne von § 42 lit. a) MVG-EKD nicht erfüllt. Mit ihrem Einsatz als einer Hilfebedürftigen nach § 16 Abs. 3 Satz 1 SGB II in einer bestimmten Kindertagesstätte wird das Mitbestimmungsrecht der Antragstellerin nach § 42 lit. a) MVG-EKD nicht verletzt. Auch wenn der Hilfebedürftige nach § 16 Abs. 3 SGB II in den Betriebsablauf der Dienststelle eingegliedert ist und an ihrer Aufgabenerfüllung mitwirkt, reicht dies allein für eine Mitbestimmungspflichtigkeit des Vorgangs nach § 42 lit. a) MVG-EKD nicht aus.
Zwar hat das Kirchengericht in einer - den Verfahrensbeteiligten bekannten - Entscheidung der Kammer vom 10. November 2005 (1 KG 22/2005; nachfolgend ebenso in der Sache 1 KG 5/2006) festgestellt, dass der Mitarbeitervertretung bei der Einstellung von sog. Ein-Euro-Kräften ein eingeschränktes Mitbestimmungsrecht gem. § 42 lit. a) MVG-EKD zusteht. Dieser Umstand schließt aber eine ggf. anders ausfallende Einzelrichterentscheidung, um die der stellvertretende Vorsitzende von den Verfahrensbeteiligten einvernehmlich im schriftlichen Verfahren nachgesucht worden ist, nicht aus.
Die bundesweit, insbesondere im staatlichen Bereich, nach wie vor strittige und noch nicht abschließend obergerichtlich bzw. höchstrichterlich geklärte Rechtsfrage, ob Beschäftigungen auf „Ein-Euro-Basis“ der Zustimmung des Betriebsrats bzw. des Personalrats oder der Mitarbeitervertretung bedürfen, d. h. insoweit ist die Auslegung von § 42 lit. a) MVG-EKD somit weiterhin als noch offen anzusehen ist.
Die hierzu jüngst ergangenen beiden obergerichtlichen Entscheidungen (vgl. VGH Kassel, Urt. v. 22.06.2006 – 22 TL 2779/05 - einerseits und OVG Koblenz Urt. v. 17.05.2006 – 5 A 11752/05 – andererseits) bestätigen dies.
Für die hier allein zu entscheidende Frage, ob mit der Aufnahme der Beschäftigung durch Frau M ein nach § 42 lit. a) MVG-EKD mitbestimmungspflichtiger Einstellungsvorgang im Sinne dieser Vorschrift ausgelöst worden ist, ist zu berücksichtigen, dass Handlungsspielraum und Weisungsbefugnis der Dienststelle stark eingegrenzt sind. Auch wenn der Hilfebedürftige nach § 16 Absatz 3 SGB II in den Betriebsablauf der Dienststelle eingegliedert ist und an ihrer Aufgabenerfüllung mitwirkt, reicht dies allein für ein Mitbestimmungsrecht der Mitarbeitervertretung noch nicht aus. Denn eine Einstellung setzt vielmehr auch die Entscheidungsfreiheit der Dienststelle für oder gegen den Bewerber voraus.
Bei Gebundenheit der Dienststelle ist für eine Beteiligung der Mitarbeitervertretung kein Raum. Insbesondere bei Beschäftigungen, deren Begründung von dritter Seite veranlasst oder durch Verwaltungsakt erfolgt, kann die arbeitgebertypische Auswahlentscheidung so eingeschränkt oder ganz beseitigt sein, dass auch für eine mitarbeitervertretungsrechtliche Begleitung bei der Begründung der aufgenommenen Tätigkeit kein Raum mehr bleibt (vgl. dazu bereits VG Oldenburg Beschl. v. 22.06.2005 - 9 A 1738/05, Juris; VG Düsseldorf, Beschl. v. 08.12.2005 - 34 K 3252/05 PVL, NWVBl. 2006, 271).
Für arbeitgebertypische Detailentscheidungen bleibt innerhalb des vorgegebenen Rahmens nur noch punktuell Raum, z. B. in Bezug auf die Verteilung der wöchentlichen Beschäftigungszeit, auf die einzelnen Wochentage, die Urlaubsbewilligung, die Bestimmung des konkreten Einsatzortes oder die fachlichen Anweisungen hinsichtlich der Reihenfolge sowie Art und Weise der Aufgabenerledigung. Dem entspricht, dass „Ein-Euro-Kräfte“ lediglich Arbeitsgelegenheiten wahrnehmen, die eine Erledigung zusätzlicher Aufgaben der Dienststelle im Sinne des § 261 SGB III betreffen. Schon aus dieser Vorgabe ist der Schluss gerechtfertigt, dass mit der soziale Leistungszwecke verfolgenden Beschäftigung von Hilfebedürftigen in entsprechenden Arbeitsgelegenheiten gerade keine Bindung an die Dienststelle eintreten soll.
Es handelt sich insoweit um eine rein sozialrechtliche Maßnahme, an deren Realisierung unter Beachtung der Schutzzweckgrenze mitarbeitervertretungsrechtlicher Beteiligung kein Mitbestimmungsrecht der Antragstellerin besteht.
Für die nach der Vorgängerregelung des § 19 Absatz 2 BSHG mögliche Heranziehung von Sozialhilfeempfängern zu gemeinnütziger Arbeit hat das Bundesverwaltungsgericht eine Mitbestimmung, bezogen auf eine personelle Einzelmaßnahme (z. B. bei der Einstellung) abgelehnt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 26.01.2000 - 6 P 2/99 -, PersR 2000, 243). Danach handelt es sich bei der Heranziehung von Sozialhilfeempfängern zu gemeinnütziger und zusätzlicher Arbeit ohne Abschluss eines Arbeitsvertrages um Maßnahmen, die ausschließlich oder primär auf den Vollzug nicht dienst- oder arbeitsrechtlicher Gesetzesbestimmungen gerichtet seien und die Ausübung einer Erwerbsarbeit nicht zum Gegenstand hätten.
Vorbild der „Zusatzjobs“ nach § 16 Absatz 3 SGB II sind wiederum jene Arbeitsgele-genheiten für Sozialhilfeempfänger nach § 19 Absatz BSHG (vgl. Stellungnahme der Bundesregierung zu der Entschließung des Bundesrates zum effizienten Einsatz der sog. Zusatzjobs nach § 16 Absatz 3 SBG II, BR-Drucks. 680/05, S. 2; Beschluss-Empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit, BT-Drucks. 15/1728, S. 5).
Die Schaffung und Organisation von Arbeitsgelegenheiten ist danach vornehmlich eine sozialrechtliche Angelegenheit, die nur Personen betrifft, die aus dem allgemeinen Arbeitsmarkt und der regulären Erwerbsarbeit bereits ausgeschieden sind.
Die Ausgestaltung dieser Arbeitsangelegenheiten ist vorrangig nach den Bedürfnissen und Möglichkeiten der Hilfebedürftigen bestimmt. Durch solche Zusatzjobs wird ihnen die Gelegenheit gegeben, ihre Erwerbsfähigkeit und Qualifikationen zu erhalten, zu verbessern oder herzustellen. Auf diese Weise sollen sie wieder an den allgemeinen Arbeitsmarkt herangeführt und ihre Chancen auf dauerhafte (Wieder-) Eingliederung in denselben erhöht werden (vgl. dazu bereits ausführlich OVG Koblenz, Urt. v. 17.05.2006 – 5 A 11752/05 – Juris). Der Schutzzweck des Mitbestimmungstatbestandes nach § 42 lit. a) MVG-EKD erfasst somit die Besetzung sog. Arbeitsgelegenheiten aufgrund von § 16 Absatz 3 SBG II nicht.
Dr. Roggentin
(Vorsitzender Richter)